REBEKKA BENZENBERG
Take a Chance

Verlängert bis 27. April 2024
Extended until April 27th 2024
 

Rebekka Benzenberg, Take a Chance, exhibition views, 2024, MARTINETZ, Cologne, photos: Tamara Lorenz

 

You know my method – Take a chance 

Umberto Eco lässt den ersten Tag seines epochemachenden Romans „Der Name der Rose“ mit der Anreise des jungen Novizen Adson von Melk Ende November 1327 in eine Benediktinerabtei im Ligurischen Apennin beginnen. Als Adlatus von William von Baskerville (!) begleitet er den Franziskanermönch, der dort auf eine Gesandtschaft des Papstes treffen wird. Bevor die beiden Reisenden bei ihrer Wanderung durch den Schnee die Abtei erreichen, treffen sie auf aufgeregt gestikulierende Mönche, die sich offenbar auf der Suche nach etwas befinden. Bei der Begrüßung demonstriert William die Scharfsinnigkeit seines Denkens, indem er ihnen ungefragt, nicht nur die Richtung des entlaufenen Pferdes weisen kann, ohne es auch nur gesehen zu haben, sondern auch den Namen und das Aussehen des Pferdes benennen kann. Auf Adsons verblüffte Frage, wie er dies alles wissen könne, antwortet ihm William: „schon während unserer ganzen Reise lehre ich dich, die Zeichen zu lesen, mit denen die Welt zu uns spricht wie ein großes Buch.“ 

Eco spielt mit dieser Episode auf die berühmte Erzählung Voltaires „Zadig ou la Destinée“ an, die erstmals 1747 veröffentlicht wurde und in der es ebenfalls um das Lesen von Zeichen und Spuren geht. So kann Zadig, ebenso wie William vom Baskerville, das Aussehen des entlaufenen Pferdes sowie der Hündin der Königin beschreiben kann, ohne sie gesehen zu haben. Während Zadig die Spuren der Hündin im Sand liest, ist es für William der Schnee, in den sich die Zeichen des geflohenen Pferdes einschreiben. 

Ecos Role Model für die Figur Williams ist darüber hinaus, wie es der Nachname seiner Hauptfigur bereits andeutet, die berühmte Detektivfigur von Conan Doyle, Sherlock Holmes, der sich im dritten Roman der Serie mit dem namensgebenden „Hund von Baskerville“ auseinandersetzen muss, von dem am Tatort riesige Fußspuren gefunden werden. 

In der Entschlüsselung der Verweise entspinnt sich zwischen den einzelnen Geschichten und Figuren für die Leser:innen eine fröhliche Zeichenkette entlang der interpretativen Handlung des Spurenlesens. Und genau dort – im Lesen und Interpretieren von Zeichen – setzt Rebekka Benzenbergs künstlerische Recherche und kreative Praxis an. Indem sie mit detektivischem Blick die Geschichte der Repräsentation von Frauen in der Bildenden Kunst oder auch zugespitzter formuliert die Kulturgeschichte der Frauenfeindlichkeit ins Visier nimmt, erforscht sie in ihren Werken die Veränderung von ikonischen Zeichen und ihrer Bedeutung anhand der Darstellung von Weiblichkeit. Sie inszeniert geradezu den Bedeutungswandel der Motive, indem sie die stark konnotierten Zeichen in neue historische und gesellschaftliche Kontexte setzt und damit auch neue Betrachtungen herausfordert, die die vorherigen Interpretationen nicht beiseiteschieben, sondern als aktives Potential für die Bedeutungsgenerierung nutzen, um so revolutionäre Lust der Bedeutungsumkehr sichtbar werden zu lassen. So artikuliert sich im Sujet ihrer Werke ein Machtdiskurs mittels geschlechtsspezifischer Zeichen, die sich einerseits mit der (diffamierenden) Repräsentation und Darstellung von Weiblichkeit beschäftigen – wie beispielsweise in der Auseinandersetzung von Rebekka Benzenberg mit den Hexenmasken der Karnevalstradition – und andererseits aber auch eine Form des weiblichen Empowerments aufscheinen lassen. Die im städtischen Außenraum abgeformten weiblichen Figuren, die die Künstlerin dann in Form verchromter und von Aluminiumgestellen gehaltener Figurationen in den Ausstellungsraum bringt, hinterfragen tief verwurzelte Machtfantasien, indem sie zeigen, dass die von zumeist männlichem Blick gestalteten Formen der weiblichen Darstellung zumeist auf wenige mythologische oder biblische Rollen – Maria, Flora, Nixe, Fortuna… – simplifiziert und verzerrt sind. In ihrer Konzentration auf die weiblichen Figuren, die allein sie abformt, auch wenn die Skulptur weitere Personen oder Elemente umfasst, thematisiert sie eine zugleich Auswahlentscheidung. Zunächst hebt sie die prägende männliche Perspektive auf die Darstellung von Frauen in gesellschaftlichen Stadtkontexten hervor, die eine Form der Manipulation des Blicks auf den weiblichen Körper in den Monumenten konkretisiert. Dann aber in einem zweiten Schritt ist es auch ihre Entscheidung, allein die weibliche Figur abzuformen und entsprechend neu zu inszenieren und damit auf die Dringlichkeit von Gendergerechtigkeit und individuellem Empowerment in der heutigen Gesellschaft hinzuweisen. 

So wird die Beziehung der ikonischen Zeichen zum historischen Kontext, der immer auch Wandlungen unterliegen kann, sichtbar. Die „Venus vor dem Spiegel“ („La Venus del Espejo“ / oder auch später die „Rokeby Venus“) von Diego Velazquez aus den Jahren 1647 – 1651, die zum Motiv der Ruß-/Brandbilder von Rebekka Benzenberg wird, ist ein solch ikonisch aufgeladenes Zeichen. Velazquez präsentiert die mythologische Figur nackt, ausgestreckt mit dem Rücken zu den Betrachter:innen liegend. 1914 wird sie Ziel eines Anschlags, als die Frauenrechtlerin Mary Richardson gegen die Verhaftung der britischen feministischen Theoretikerin und Suffragette Emmeline Pankhurst demonstrierte und dabei bewusst die „schönste Frau der mythologischen Geschichte“ zu zerstören suchte, um auf den Kampf für das Frauenwahlrecht und die Emanzipation von Frauen aufmerksam zu machen. Im Jahr 2023 wurde das Bild von Klimaaktivisten angegriffen, die sich bei ihrer Aktion explizit auf den Anschlag von 1914 bezogen. Neben den Ruß-/Brandzeichnungen, die auf Ausdrucksformen anspielen, wie sie in den WCs von Clubs oder Bars zu finden sind, taucht das Bild der Venus im Oeuvre der Künstlerin auch als Patch-Gestaltung auf der großen Jeansjacke auf, die auf einem überdimensionalen hohen Stuhlgestell liegt. Aus vielen zusammengenähten einzelnen Jacken bestehend sind die Patches Ausdruck einer Haltung und der Repräsentation von Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Organisation, so manifestieren Teil einer Bewegung zu sein. So migriert das Bild der Venus über die mythologische Darstellung zur Zielscheibe des Protestes für Frauenrechte oder Klimapolitik bis hin zum Ausdruck eines politischen Statements. 

Rebekka Benzenberg untersucht die Verschiebung von Bedeutung aber nicht nur in den Sujets ihrer Werke, sondern sie thematisiert den Wandel auch in der Wahl der Materialität. Vom ursprünglich schützenden Pelz zur Inszenierung des Pelzes als Zeichen (königlicher) Macht durchläuft das Material in unserer kulturellen Welt bereits Transformationen der Bedeutung, die wir bei unserer Betrachtung mitdenken. Ebenso wie die Assoziationen des Pelzes als erotisch aufgeladenes Bekleidungsstück von Frauen bis hin zu den Tierschutzprotestbewegungen. So prallen dann fast sinnbildlich auf einem Bauzaun montiert die unterschiedlichen Bedeutungsebenen zusammen und fordern uns als Betrachter:innen heraus. Damit erlebt auch das Material, neben den Sujets, eine radikale Neuinterpretation, die die Betrachter:innen jenseits ausgetretener Lesepfade führt. Das „Zeichen“ Pelz, das interpretiert oder gelesen werden muss, ruft in unserer Betrachtungsperspektive mehrere Geschichten auf, die zu irritierenden Veränderungen und Abweichungen seiner Bedeutung, die bis hin zur kompletten Inversion des Inhalts reichen können. 

Im künstlerischen Aufspüren und Gestalten dieser signifikanten Zeichen manifestiert sich die Methode von Rebekka Benzenberg, die sich in unterschiedlichsten Werken immer wieder auf die Suche nach Motiven und Ausprägungen der Misogynie macht, die sie dann nicht nur sichtbar macht, sondern auch transformiert. Die Betrachtenden, die die Werke „lesen“, werden mit visuellen Codes konfrontiert, deren Gültigkeit durch die Gesellschaft, die sie nutzt, bestätigt wird. Somit ist die Frage der Repräsentanz von weiblichen Körpern in urbanen Kontexten oder die Präsenz von Frauen in aktuellen Gesellschaften eine Frage der jeweiligen Codes, die unsere Welt gestalten und die die Leseweise der Betrachtenden führen. Der Ausstellungstitel „Take a Chance“, der als „riskiere etwas“ übersetzt werden kann, verweist hier nicht nur auf ein Zitat aus dem Song "What You Waiting For" von Gwen Stefani, in dem sie über das Älterwerden und die Verbindungen zwischen weiblichem Erfolg und Jugend reflektiert, sondern er fordert zugleich die Betrachter:innen zum Wagnis des eigenständigen Interpretierens der Zeichen, zum „detektivischen“ Ziehen von Schlussfolgerungen und zum aktiven Handeln auf. Als Patches auf überdimensionierten Kleidungsstücken, als Spruchbänder im Raum schreiben sich die Zeichen auf Körper und in den Raum ein, es liegt an uns ihnen eine neue, gesellschaftsverändernde Bedeutung zu geben. Rebekka Benzenbergs „Take a Chance“ ist hierfür Anlass genug. 

Stefanie Kreuzer 

 

You know my method – Take a chance 

The first day of Umberto Eco's epochal novel The Name of the Rose begins with the journey of the young novice Adson von Melk to a Benedictine abbey in the Ligurian Apennines in late November 1327. In his role as an aide-de-camp to William of Baskerville (!), he accompanies the Franciscan monk to meet a delegation of the Pope. While on route to the abbey the two travellers hike through the snow and encounter a group of excitedly gesticulating monks, who are clearly in search of something. Upon greeting them, William demonstrates the acumen of his mind by not only pointing them in the direction of the runaway horse without even having seen it, but by also naming it and describing its appearance. To Adson's astonished question as to how he could know all this, William replies: "Throughout our journey, I have been teaching you to read the signs with which the world speaks to us like a great book."

In this passage, Eco is alluding to Voltaire's famous story Zadig ou la Destinée, which was first published in 1747 and is likewise about the reading of signs and traces. Zadig, like William of Baskerville, describes the appearance of a runaway horse and the queen's dog without having seen either of them. While Zadig reads the dog's tracks in the sand, William reads the snow in which the marks of the escaped horse are inscribed.

Eco's role model for the character of William is, as the surname of his protagonist suggests, Conan Doyle's renowned detective Sherlock Holmes, who in the third novel of the series is confronted with the eponymous Hound of the Baskervilles, whose huge footprints are found at the scene of the crime.

In the deciphering of the references, a happy chain of signs unfolds between the individual stories and figures for the reader along the interpretative action of reading traces. And it is precisely here – in the reading and interpretation of signs – that Rebekka Benzenberg's artistic research and creative practice begins. With a detective's eye, she focuses on the history of the representation of women in the visual arts or, to put it more pointedly, on the cultural history of misogyny. She explores the transformation of iconic signs and their meaning through the representation of femininity in her works. She stages the shift in meaning of motifs by placing the strongly connoted signs in new historical and social contexts, thus challenging new observations that do not push aside previous interpretations but utilise them as an active potential for generating meaning to allow the revolutionary desire for a reversal of meaning to become visible.

The subject of her works articulates a discourse on power by means of gender-specific signs that deal with the (defamatory) representation and depiction of femininity – for example in Benzenberg's examination of the witch masks from carnival tradition – while also revealing a form of female empowerment. The female figures sculpted in the urban outdoor space, which the artist then brings into the exhibition space in the form of chrome-plated sculptures held by aluminium frames, question deeply rooted fantasies of power by showing that the forms of female representation, which are mostly designed by the male gaze, are mostly simplified and distorted to a few mythological or biblical roles – Mary, Flora, Mermaid, Fortuna.... By concentrating on female characters and moulding only them, even if the sculpture includes other people or elements, she addresses a simultaneous decision-making process. Firstly, she emphasises the dominant male perspective on the representation of women in social urban contexts, which substantiates a manipulation of the view of the female body in the monuments. Then, in a second step, her decision to mould the female figure alone and to re-stage it accordingly draws attention to the urgency of gender equality and individual empowerment in today's society.

This is how the relationship between iconic signs and historical context, which is always subject to change, becomes visible. ‘Venus at her Mirror’ (‘La Venus del Espejo’ / or later the ‘Rokeby Venus’) by Diego Velazquez from 1647 – 1651 is an example of such an iconically charged sign and a motif of Rebekka Benzenberg’s soot or fire drawings. Velazquez presents the mythological figure naked, stretched out with her back to the viewer. In 1914, she became the target of an attack when the women's rights activist Mary Richardson demonstrated against the arrest of the British feminist theorist and suffragette Emmeline Pankhurst and deliberately sought to destroy the ‘most beautiful woman in mythological history’ in order to draw attention to the fight for women's suffrage and the emancipation of women. In 2023, the painting was attacked by climate activists who, in their action, explicitly referred to the 1914 attack. In addition to the soot/fire drawings, which allude to forms of expression such as those found in the toilets of clubs or bars, the image of Venus also appears in the artist's oeuvre as a patch design on the oversized denim jacket resting on an oversized high chair frame. Consisting of many individual jackets sewn together, the patches are an expression of an attitude and the representation of belonging to a group or organisation, thus manifesting being part of a movement. The image of Venus therefore migrates from a mythological representation to a target of protest for women's rights or climate policy to the expression of a political statement.

Rebekka Benzenberg not only examines the shift in meaning in the subject matter of her works, but also focuses on transformation in her choice of materiality. From fur's original protective function to the staging of fur as a symbol of (royal) power, the material is already undergoing transformations of meaning in our cultural world, transformations we also consider when viewing it. The same applies to the associations of fur as an erotically charged item of clothing worn by women and the animal rights protest movements. In this way, different levels of meaning collide with each other, almost symbolically, when mounted on a building fence, and challenge us as viewers. As a result, the material, as well as the subject matter, undergoes a radical reinterpretation that takes the viewer well beyond the normal paths. The ‘sign' fur, which must be interpreted or read, evokes several stories in our viewing perspective, which can lead to unsettling changes and deviations in its meaning, to the point of complete inversion of the content.

Rebekka Benzenberg's method manifests itself in the artistic tracing and shaping of these significant signs. Across her diverse works, she repeatedly seeks out motifs and expressions of misogyny, which she then not only makes visible, but also transforms. The viewers who "read" the works are confronted with visual codes whose validity is confirmed by the society that uses them. As such, questions concerning the representation of female bodies in urban contexts and the presence of women in contemporary societies are a question of the respective codes that shape our world and that govern the way in which viewers read it. The exhibition title ‘Take a Chance’  not only refers to a quote from the song ‘What You Waiting For’ by Gwen Stefani, in which she reflects on ageing and the connections between female success and youth, but also invites the viewer to take a chance by interpreting signs independently, to draw ‘investigative' conclusions and to take action. The signs are inscribed on both bodies and in the space as patches on oversized items of clothing and as banners throughout the room; it is up to us to imbue them with a new, socially transformative meaning. Rebekka Benzenberg's ‘Take a Chance’ is reason enough to do so.

Stefanie Kreuzer

 

Opening hours:
Wednesday - Friday 1-6 PM
Saturday 12-4 PM
and by appointment

Contact:
Petra Martinetz
Moltkestr. 81
50674 Cologne

[mail@]petramartinetz.de

+49 221 5679432

© 2023 Petra Martinetz. Alle Rechte vorbehalten. 

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.